Berufliche (Grund-)Bildung

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Berufsgrundbildungsjahr

Das Berufsgrundbildungsjahr gilt je nach Richtung (z. B. Wirtschaft und Verwaltung → kaufmännisch) als erstes Ausbildungsjahr dieser Richtung und kann entsprechend angerechnet werden.

Berufsgrundbildungsjahr
Geschichte


Die Einführung des Berufsgrundbildungsjahres als erstes Jahr der Berufsausbildung gehört zu den bedeutendsten bildungspolitischen Vorhaben, die vom Bund, den Ländern, den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden und den politischen Parteien gestützt und getragen werden.
Die Ziele des BGJ waren 1978:
Selbsterfahrung der Jugendlichen in einem Berufsfeld und nicht zu frühe Festlegung auf einen Einzelberuf, um eine Verbesserung der Berufswahl im Sinne einer gestuften Berufswahlentscheidung zu erreichen,
Verbindung von Elementen beruflicher und allgemeiner Bildung mit dem Ziel, in der Ausbildung Abschlüsse zu schaffen, die gleiche Chancen wie vergleichbare allgemeine Schulabschlüsse eröffnen. Außerdem wird die Möglichkeit geboten, dass Jugendliche ohne schulischen Abschluss diesen nachholen können,
Vermittlung einer breiten beruflichen Grundbildung, die den Übergang von der schulischen Allgemeinbildung in die Berufswelt erleichtert,
Vorbereitung und nicht zu frühe Spezialisierung der Eingangsstufe der Berufsausbildung mit dem Ziel einer verbesserten beruflichen Mobilität und Flexibilität.
Die berufliche Grundbildung kann sowohl vollzeitschulisch als auch in Betrieb und Berufsschule (kooperative Form der dualen Ausbildung) vermittelt werden. Von den 628.000 Schülern die 1977 ein Berufsgrundbildungsjahr ableisteten, nahmen 52 Prozent an der vollzeitschulischen Form teil. 5300 Schüler (8 Prozent) absolvierten ein Berufsgrundbildungsjahr in kooperativer Form und 40 Prozent der Schüler nutzten die verschiedenen Sonderformen des Berufsgrundbildungsjahres.

Berufsgrundbildungsjahr
Anrechnungsverordnung


Ab 1978 trat die Anrechnungsverordnung in Kraft. Danach sind die Unternehmen verpflichtet, das Berufsgrundbildungsjahr ganz oder teilweise auf die Berufsausbildungsdauer anzurechnen. Die Industrie und das Handwerk schufen eigene Richtlinien zur Anrechnung des BGJ bei der Ausbildungszeit, da sie die Auffassung vertraten, die damit verbundene Verkürzung der betrieblichen Ausbildungszeit wäre nicht zu verantworten. So kam es vor, dass Auszubildende die direkt von der Hauptschule kamen, denen vorgezogen wurden, die ein Berufsgrundbildungsjahr absolviert hatten, das auf die Ausbildungszeit anzurechnen gewesen wäre. Die Gewerkschaften traten für die volle Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahres auf die Ausbildungszeit ein und plädierten auch dafür, dass sich dieses BGJ nicht an eine Pflichtschulzeit von 9 Jahren, sondern von 10 Jahren in der Hauptschule anschließe.
Aufgrund des Berufsbildungsreformgesetzes ist eine Anrechnung vom 1. August 2009 an nur noch mit Zustimmung des Ausbildungsbetriebes möglich.

Berufsvorbereitungsjahr

Das Berufsvorbereitungsjahr ist ein vorbereitendes Jahr und kann nicht als erstes Ausbildungsjahr angerechnet werden, jedoch bietet sich hier für Schulabbrecher die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss nachzuholen. In Nordrhein-Westfalen läuft dies unter der Bezeichnung „Berufsorientierungsjahr“, in Schleswig-Holstein „Ausbildungsvorbereitendes Jahr (AvJ)“. Es entspricht demzufolge Hauptschulniveau.
In manchen Bundesländern (z. B.: Sachsen) gibt es eine Ausbildungsplatzförderung – beispielsweise in Form eines einmaligen Zuschusses – für diejenigen Unternehmen, die diese Absolventen übernehmen. In dem Berufsvorbereitungsjahr gibt es kein Gehalt.








HISTORISCHE DOKUMENTE und deren Reflexion

Günther Kutscha
Die Kollegstufe NRW als umfassender Versuch zur Neugestaltung der Sekundarstufe II unter dem Anspruch von Gleichwertigkeit und Integration
Das Thema Gleichwertigkeit und Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung gehört zum „harten Kern“ der Bildungsreformbewegung in der Bundesrepublik Deutschland Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre.

Kutscha geht die Entwicklung des Kollegstufenmodells in NRW nach und begründet ihr Scheitern. Dennoch zeigt er in seinen Schlussbemerkungen und Perspektiven, dass das Konzept der Kollegstufe bei der Veränderung des (Berufs-)Bildungssystems weiterhin viele Impulse liefern könnte. So schreibt er: "Damit stellt sich die Frage, ob das ursprüngliche Konzept der Kollegstufe „Opfer“ einer Verfrühung war oder seine Zukunft noch vor sich hat. Eine wissenschaftlich seriöse Beantwortung dieser Frage ist allein schon mangels einer verlässlichen Datengrundlage nicht möglich. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Kollegschulversuchs, an der der Autor selbst beteiligt war, konzentrierte sich auf pädagogische Aspekte der Integration. Das war ihr Auftrag. Indes lässt sich auf dieser Ebene nichts aussagen über die Erfolgswahrscheinlichkeit des Modellversuchs in Hinsicht auf die nachhaltige Überwindung des traditionell getrennten Bildungswesens und seiner für das Verhältnis von Berufs- und Allgemeinbildung spezifischen Strukturprobleme zugunsten eines integrierten Systems. ... (Man muss sich immer wieder) mit der Vorstellung vertraut machen, dass das Gymna­sium in Deutschland nach Art und Weise seines Zusammen­hangs mit dem Beschäftigungssystem, aber auch nach dem Selbst­ver­ständnis der Gymnasialschüler und ihrer Eltern die Funktion einer berufs­pro­pädeutischen Einrichtung für anspruchsvolle akademische Berufe erfüllte und noch immer als Instanz der Absicherung bzw. des Erwerbs sozialer Privilegien angesehen wird. Als sol­che hat das Gymnasium einen erhebli­chen Wettbewerbsvorteil gegen­über der Be­rufsausbildung im Dualen System. Solange sich das Beschäftigungssystem mit traditionellen Formen der Lehrlingsausbildung begnügen konnte, brachte dieser Wettbe­werbsnachteil kaum Pro­bleme mit sich.
Das hat sich geändert. Nicht nur infolge des sich seit Jahren abzeichnenden Fachkräftemangels, sondern aufgrund der von Baethge (2006) in einem jüngeren Aufsatz zur Problematik des „Bildungsschismas“ in Deutschland näher erörterten Entwicklung von der vor- zur nachindustriellen Erwerbsgesellschaft.
Das wesentliche Merkmal dieser Entwicklung sieht Baethge in der „Zentralität des systematischen Wissens“ (Baethge 2006, S. 25). Und nicht nur das: Berufsfachliches Wissen unterliege einem beschleunigten Veraltungsprozess. Die Intervalle der Erneuerung von Qualifikationen würden kürzer, die dabei geforderte Selbststeuerung und Selbstorganisation setze hohe affektive und kognitive Lernkompetenzen voraus, und zwar nicht nur in Bezug auf Inhalte, sondern insbesondere auf das „Wie“ des Lernens (Metakognition, Organisationsfähigkeit der eigenen Lernprozesse).
Fazit: Die Notwendigkeit einer Neuorganisation des Bildungswesens und speziell der Überwindung der institutionell verfestigten Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung ergibt sich nach Baethge längerfristig aus strukturellen Veränderungen des Beschäftigungssystems. Stärker denn je – so wäre hinzuzufügen – aus der Dynamik der digitalen Transformation.

Offen bleibt dabei, wie das zu erreichen ist:  ob mit einer neuen „großen“ Bildungsreform oder mit einer schrittweisen Annäherung ist schwer zu entscheiden. Dass sich aber das berufliche Bildungswesen konsequent weiterentwickeln muss für neue Formen der „erweiterten modernen Beruflichkeit“ (vgl. IG Metall 2014) mit der Perspektive der Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung und das Gymnasium sich öffnen muss für den Anschluss an berufliche Perspektiven außerhalb des akademischen Studiums liegt nahe. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich das Leben in der digitalisierten und individualisierten Gesellschaft der Zukunft in Spuren herkömmlich institutionalisierter Berufslaufbahnen vollziehen wird. Für ein integriertes Bildungssystem spricht, dass es – konform mit den Veränderungen im Gesellschafts- und speziell im Beschäftigungssystem – Vielfalt, Flexibilität und ein erhöhtes Maß an individueller Verselbständigung ermöglicht. Dafür könnte das Konzept der Kollegstufe mit den Zielen der Chancenverbesserung, der Wissenschaftsorientierung und kritischen Einstellung als Voraussetzung für demokratische Selbst- und Mitbestimmung auch künftig ein Leitbild sein, ohne im Detail den zeitbedingten bildungspolitischen Prämissen und organisatorischen Vorgaben des Kollegstufenmodells folgen zu müssen."
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